Interview zum Seminar „Rechtssicherheit im Unternehmenssteuerrecht“

Im Sommersemester 2021 fand das erste interdisziplinären Seminar des Instituts für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre von Prof. Dr. Kay Blaufus und des steuerrechtlichen Lehrbeauftragten der juristischen Fakultät Dr. Thomas Keß zum Thema „Rechtssicherheit im Unternehmenssteuerrecht“ statt. Dabei wurden aus teilnehmenden Studierenden der juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät vier gemischte Gruppen gebildet, die sich mit unterschiedlichen Aspekten des Themas befasst haben. Diese fertigten im Rahmen des Seminars eine schriftliche Ausarbeitung sowie ein kurzes Video an, welches wesentliche Punkte zusammenfasste. Die beiden besten Videos wurden dann bei der Veranstaltung „time for taxes“ – die der VFS Hannover zusammen mit KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (KPMG) und dem Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre ausrichtet – am 29. November 2021 mit einem großzügigen Preisgeld ausgezeichnet.


Die zwei Gewinnerteams bei der Siegerehrung mit Oliver Mattern, Partner International Transaction Tax KPMG, bei “time for taxes“: v.l.n.r. Marie Ruhrmann, Lennart Sindermann, Greta Ruhrmann, Oliver Leichnitz, Lilian Jindi, Sinah-Marie Wicht, Kevin Riebe und Elena Lessi (fehlende Mitglieder: Jerome Püschel, Stefan Meyer)

Wir sind daher froh, dass sich die teilnehmende Studentin der Wirtschaftswissenschaften Lilian Jindi sowie die zwei teilnehmenden Jurastudenten Kevin Riebe und Lennart Sindermann bereit erklärt haben, uns über ihre Erfahrungen aus diesem besonderen Seminar zu berichten.

In welchem Semester habt ihr an dem Seminar teilgenommen? Und hattet ihr vorher schon Erfahrungen im Steuerrecht gemacht?

Lilian Jindi:
Ich habe an dem Seminar im 2. Mastersemester teilgenommen. Dieses stellte ein Wahlmodul in meinem Major „Accounting, Taxation and Public Finance“ dar. Steuerrechtliche Vorkenntnisse hatte ich aus meinem Studium sowie Praktika und Werkstudententätigkeiten bei großen Steuerberatungsgesellschaften.

Kevin Riebe:
Ich habe im 4. Semester an dem Seminar teilgenommen, um den Proseminarschein zu erhalten. Steuerliche Vorkenntnisse hatte ich nicht.

Lennart Sindermann:
Ich war wie Kevin im 4. Semester, als ich am Kurs für den Proseminarschein teilgenommen habe und hatte ebenfalls keine Vorkenntnisse im Steuerrecht.

Würdest du das Seminar weiterempfehlen?

Lennart:
Die Teilnahme an diesem interdisziplinären Seminar kann ich jedem nur herzlichst weiterempfehlen, der noch den Proseminarschein oder die Schlüsselqualifikation benötigt und ein gewisses Interesse für wirtschaftliche Dinge mitbringt. Hier lernt ihr ein sehr spannendes Rechtsgebiet ein wenig kennen, welches in eine Nische der herkömmlichen juristischen Ausbildung fällt. Das ist sehr hilfreich bei der beruflichen Orientierung, auch wenn die Reise danach woanders hingeht. Denn in jedem Fall seid ihr eine tolle Erfahrung reicher, bei der ihr einmal über den eigenen Tellerrand blicken konntet. Zudem habt ihr auch euren begehrten Schein sicher.

Lilian:
as Seminar kann ich allen Studierenden der Wirtschaftswissenschaft empfehlen, die sich für das Steuerrecht begeistern können. Die behandelten Themen waren sowohl in der Theorie als auch in der praktischen Umsetzung sehr spannend. Durch das multimediale und interdisziplinäre Format kann man über den „Tellerrand“ hinausschauen und im Studium tolle neue Erfahrungen sammeln.

Kevin:
Rückblickend war das Seminar eine Erfahrung, die ich immer wieder gern machen würde und deshalb auch besonders froh bin, mitgenommen haben zu dürfen. Natürlich wäre ohne eine Pandemie bestimmt ein großer Teil noch besser verlaufen. Aber auch so hob sich das Seminar für mich nicht nur in seinem Ablauf, sondern auch in jedem Moment der Arbeitsphase von anderen Proseminaren schön hervor und bot so eine interessante Alternative zu dem bisherigen Angebot der Universität.

Wie lief das Seminar ab?

Kevin:
Nach dem Anmeldeverfahren wurden wir Anfang März einer Gruppe zugeteilt. Ich selbst kam zusammen mit Lilian in Gruppe 4, welche sich mit dem Thema „Rechtssicherheit und -unsicherheit im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit“ befassen durfte. Diese bestand aufgrund der interdisziplinären Ausrichtung aus zwei weiteren Studierenden der Wirtschaftswissenschaften neben Lilian und neben mir noch einer weiteren Studentin der Rechtswissenschaften.

Lennart:
Ich war Teil der Gruppe, welche sich damit beschäftigte, wie das deutsche Finanzverwaltungswesen die Rechtssicherheit beeinflusst. Meine Gruppe setzte sich ebenfalls aus drei Studierenden der Wirtschaftswissenschaften und mit mir noch eine andere Studentin der Rechtswissenschaften zusammen.

Lilian:
Aufgabe der Seminargruppen war es zunächst das eigene Thema mithilfe der Literatur aufzuarbeiten. Basierend auf dem literarischen Konsens wurde, unter regelmäßiger Absprache mit Prof. Dr. Blaufus und Dr. Keß, ein Fragebogen erstellt und zur Beantwortung an berufliche Vertreter des Unternehmenssteuerrechts übergeben. Die Antworten dienten als Grundlage unserer empirischen Analyse. Anhand unserer empirischen Analyse konnten wir die Auswirkungen unterschiedlicher Faktoren der Rechtssicherheit (unabhängige Variablen) auf die Wahrscheinlichkeit eine Direktinvestition in Deutschland zu tätigen (abhängige Variable), analysieren. Für die empirische Analyse hat unsere Gruppe die Software R verwendet. Andere Gruppen verwendeten allerdings auch STATA. Die Entscheidung welches Statistikprogramm wir für die Analyse verwenden wollen, war uns überlassen. Einerseits konnten wir herausfinden, dass eine Investition im Inland bevorzugt wird, wenn der Einfluss der Rechtssicherheit auf Investitionen als bedeutsam erachtet wird. Andererseits konnten wir feststellen, dass Teilnehmer die inländische Investition empfehlen, wenn sie empfinden, dass sich die Rechtsunsicherheit im Inland reduziert hat. Diese Ergebnisse zeigen, dass es einen (statistisch signifikanten) Zusammenhang zwischen der Rechtsunsicherheit und Investitionsentscheidungen gibt. Neben der theoretischen und empirischen Ausarbeitung führte jede Gruppe zwei Interviews mit erfahrenen Steuerpraktikern durch. Unsere Interviewpartner waren Frau Dr. Eva Oertel, die Leiterin des Referats für Internationales Steuerrecht und das Internationale Steuerzentrum des bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat und Herr Marko Gründig, der Bereichsvorstand Tax der KPMG. Anschließend erstellten wir bis Ende Juni 2021 anhand der Interviews und den Ergebnissen unserer Seminararbeit ein Kurzvideo, welches später bei der Veranstaltung „time for taxes“ gezeigt werden sollte.

Lennart:
Wir hatten als Gesprächspartner für die Interviews die Abteilungsleiterin für Steuern und Finanzpolitik des Bundesverbands der Deutsche Industrie e.V. (BDI) Dr. Monika Wünnemann sowie der Steuerabteilungsleiter Ernst Hüdepohl vom niedersächsischen Finanzministerium. Nebenbei beschäftigten wir uns mit der juristischen Aufarbeitung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Meine Gruppe konzentrierte sich bei der Recherche, neben der Finanzverfassung, auf einfachgesetzliche Grundlagen und suchte nach möglicherweise relevanten Urteilen – insbesondere des Bundesverfassungsgerichts – welche auch die Bedeutung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze bei der Steuererhebung klarstellten. Dabei sammelte man auch viele Informationen, die irrelevant für die Seminararbeit waren. Solche Umstände lassen sich wie bei einer Hausarbeit nicht vermeiden. Dies geschieht, wenn man sich einer fremden Rechtsmaterie nähert. Zum Teil sorgte diese Informationen aber für ein besseres Gesamtverständnis der Materie und weckte bei mir sogar das Interesse mich mehr mit manchen Themen auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse der juristischen Ausarbeitung trugen wir dann mit den Ergebnissen der empirischen Analyse zusammen, wobei die Aussagen unserer Interviewpartner eingeflochten wurden. Aus den wichtigsten Aussagen unserer Seminararbeit sowie unserer Interviewpartner fertigten wir zudem ein Video an. Die Präsentation der Seminararbeit sowie des Videos erfolgte am 7. Juli 2021 unter Anwesenheit von Prof. Dr. Blaufus und
Dr. Keß. Am 29. November 2021 wurden dann die Kurzvideos von Kevins und Lilians sowie meiner Gruppe im Rahmen der Veranstaltung „time for taxes“ ausgezeichnet.

War es schwer sich in die fremde Materie des Steuerrechts einzuarbeiten?

Lennart:
Anders als die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften, welche in ihrem Studium sich bereits mit dem Steuerrecht und der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre beschäftigt haben, treffen Jurastudierende auf ein für sie zunächst unbekanntes Rechtsgebiet. Doch wenn das Steuerrecht zunächst sehr fremd wirkt, entdeckt man schnell die Parallelen zu dem in den Verwaltungsrechtsvorlesungen Erlernten. Auch die grundlegenden Prinzipien des Grundgesetzes entfalten selbstredend für das Steuerrecht Geltung. Natürlich war nichtsdestotrotz erstmal Grundlagenarbeit angesagt. Hierfür bot es sich zunächst an ein wenig im Grundgesetz zu stöbern und sich mit der Finanzverfassung vertraut zu machen, welche regelmäßig in der Staatsrecht Vorlesung höchst stiefmütterlich behandelt oder gar vollständig ausgeklammert wird. Nach etwas Einarbeitung konnte man sich wunderbar im Steuerrecht zurechtfinden.

Gab es neben dem Steuerrecht noch weitere interessante Arbeitsfelder?

Lilian:
Die Erstellung eines Interviewleitfadens innerhalb der Gruppe und das anschließende Führen der Interviews mit tollen Interviewpartnern aus der Wirtschaft und Verwaltung waren neue Erfahrungen, die wir als Gruppe mitnehmen konnten. Diese Aufgabe im Rahmen der Seminararbeit ging über die reine theoretische und empirische Bearbeitung eines steuerrechtlichen Themas hinaus. Dies hatte aus meiner Sicht einen positiven Einfluss auf unsere Kompetenzentwicklung.

Kevin:
Spannend fand ich die Erstellung des Kurzvideos. Hier kam es auf individuelle Ideen und Kenntnisse an und ich konnte meine bereits erlangten Erfahrungen im Videoschnitt mit einbringen. Die Gruppenarbeit gestaltete sich somit sehr kooperativ.

Lennart:
Ich fand es insbesondere interessant die Themengebiete kennenzulernen, welche abseits des „klassischen“ juristischen Arbeitens Teil der Seminararbeit waren, wie die empirische Auswertung der Datensätze der Befragung sowie das Vorbereiten der Interviews mit Fachleuten und deren Durchführung. Ebenfalls erfrischend empfand ich die Aufgabe die Kernaussagen zusätzlich in Form eines Videos zu verpacken.

Wie lief die Zusammenarbeit in der Gruppe?

Kevin:
Innerhalb der Gruppe war die Aufteilung wichtig und hilfreich. Wo für mich die deskriptive und multivariante Analyse mehr oder weniger Fremdwörter bedeuteten, konnten andere Teammitglieder damit viel anfangen. Andererseits konnte ich als Student der Rechtswissenschaften im vierten Semester mein Wissen über Richtlinien und Normen einbringen. Es war also unerlässlich, die unterschiedlichen Stärken der Teammitglieder auszunutzen.

Lilian:
Mit zwei Mitgliedern aus meiner Gruppe hatte ich bereits im Rahmen meines Bachelorstudiums eine Seminararbeit am Institut für betriebswirtschaftliche Steuerlehre geschrieben, sodass das gemeinsame Arbeiten an einem steuerrechtlichen Thema nicht neu war. Wir haben uns gefreut, dass gleich zwei Studierende der Rechtwissenschaft bei uns in der Gruppe mit am Bord waren. Nachdem wir uns etwas in die Thematik eingelesen haben, kam es direkt zur Aufgabenverteilung, denn die Aufgaben waren vielseitig und in einem recht vordefinierten Zeitplan zu erfüllen. Jedes Gruppenmitglied konnte seine Stärken und Erfahrungen aus seinem Studium einbringen, sodass die Zusammenarbeit sehr inspirierend und spannend war.

Lennart:
Das interdisziplinäre Format eröffnet die Möglichkeit über den juristischen Tellerrand hinauszublicken und die Perspektive sowie die Arbeitsweise von Wirtschaftswissenschaftlern kennenzulernen und aus dieser Erfahrung zu lernen. Gleichzeitig birgt dieser Umstand auch das Potential Meinungsverschiedenheiten zu produzieren, z.B. die Frage nach dem „Goldstandard“ unter den Zitierweisen. Diese Erfahrung hilft Offenheit für andere Ansichten und das kritische Hinterfragen der eigenen Ansichten zu kultivieren, um die Meinungsverschiedenheiten geschickt auflösen zu können.

Gibt es rückblickend Dinge die ihr als besonders empfandet?

Lilian:
Ich habe mich persönlich darüber gefreut, dass ich durch das Seminar den VFS Hannover kennengelernt habe und nun durch die Vereinsarbeit als Studentin der Wirtschaftswissenschaft regelmäßigen Kontakt zu Studierenden der Rechtswissenschaft habe, die sich zwar wie ich für das Steuerrecht interessieren, sich allerdings aufgrund des mangelnden Angebots kaum steuerrechtliches Wissen im Rahmen ihres Studiums aneignen können.

Kevin:
Die Vorstellung als Gruppe möchte ich hier nochmal hervorheben. Das Seminar hat mir selbst gezeigt, wie oft die Gruppenarbeit im juristischen Studium doch fehlt. Insbesondere, wenn Kenntnisse stark unterschiedlich verteilt sind und ich selbst merke, dass ich auf Zusammenarbeit angewiesen bin, um Probleme zu lösen. Wenn die Zusammenarbeit aber so einwandfrei mit Studierenden mit anderen Fachrichtungen erfolgt, sind diese aber auch einfach zu lösen.

Lennart:
Anders als in anderen Seminaren fand über der Benotung unserer Arbeit durch unsere Dozenten hinaus eine Bewertung unserer Videos durch eine Jury statt. Verbunden mit der Entscheidung der Jury war die Verleihung des von KPMG gestifteten Preisgeldes. Die Siegerehrung fand am 29. November 2021 bei „time for taxes“ statt. Bei dieser sehr spannenden Veranstaltung, an welcher viele hochkarätige Gäste teilnahmen, auf der Bühne zu stehen und für die Studienleistung ausgezeichnet zu werden war ein sehr besonderes Erlebnis. Dies hob sich doch ganz erheblich von der Erfahrung ab, welche man normalerweise beim Aktualisieren der „jups“ Website sammelt und stellte einen großartigen Abschluss für dieses außergewöhnliche Seminar dar.

Lilian:
Meine Gruppe hat sich auch sehr gefreut die Veranstaltung „time for taxes“ vor Ort persönlich miterlebt zu haben. Besonders interessant war die Diskussionsrunde zum Thema „Die Zukunft der internationalen Unternehmensbesteuerung: Tax Planning, Tax Certainty, Tax Transparency“. Die Teilnehmenden, welche aus der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft kamen und oftmals unterschiedliche Standpunkte zu den diskutierten Themen hatten, machten das Gespräch besonders spannend und dynamisch. Wir haben uns natürlich auch sehr über das von der KPMG gestiftete Preisgeld und die Urkunde gefreut.

Das Interview führte Alexander Stein, Vizepräsident der Studentischen Vereinigung des VFS Hannover