Die erste Tax Law Clinic Deutschlands? – kick off Veranstaltung am 25.06.2018

Der VFS Hannover – der Verein zur Förderung der Steuerrechtswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover – möchte an der Leibniz Universität die erste Tax Law Clinic Deutschlands einrichten. Das ist nicht unproblematisch. Am 25. Juni 2018 stellt der Verein seine Pläne zur Verwirklichung des Zieles vor.

Die erste Tax Law Clinic Deutschlands?
Hannover als Vorreiter für eine studentische Steuerrechtsberatung
am 25. Juni 2018, ab 18:00 Uhr im Raum VII / 003 des Hörsaalgebäudes der Leibniz Universität
Hannover, ContiCampus, Königsworther Platz 1

Law Clinics oder Legal Clinics sind in Deutschland mittlerweile ein fester Bestandteil an den meisten juristischen Fakultäten. Die dort stattfindende unentgeltliche Rechtsberatung durch Studierende unter Anleitung eines Rechtsanwalts bietet eine großartige Möglichkeit, bereits im Studium das theoretisch Gelernte auch praktisch anzuwenden.

Unentgeltliche Rechtsberatung – vom absoluten
Verbot im RBerG a.F. …

Dass eine unentgeltliche Rechtsberatung heute überhaupt möglich ist, ist Dr. Helmut Kramer zu verdanken. Kramer war ursprünglich Richter am Oberlandesgericht Braunschweig und hat sich Zeit seines Berufslebens für eine Aufarbeitung des NS-Unrechts in der Justiz eingesetzt. Nach seiner Pensionierung wurde Kramer gemeinsam mit seiner als Rechtsanwältin zugelassenen Ehefrau u.a. als Rechtsbeistand für zwei junge Männer tätig, die als sog. Totalverweigerer sowohl die Ableistung des Wehrdienstes als auch eines
Ersatzdienstes verweigert hatten, damals eine Straftat. Während des deswegen geführten Strafprozesses zeigte Kramer sich selbst wegen eines Verstoßes gegen das damals geltende, noch aus der NS-Zeit stammende Rechtsberatungsgesetz (RBerG) an. Er gab zu Protokoll, die beiden Männer ohne die erforderliche Erlaubnis und darüber hinaus auch unentgeltlich zu vertreten, wie er dies auch in zahlreichen anderen Fällen getan habe. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des RBerG durfte aber die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten geschäftsmäßig nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt worden war. Die Zuwiderhandlung stellte nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 RBerG eine Ordnungswidrigkeit dar. Kramer wurde deshalb durch das Amtsgericht Braunschweig zu einer Geldbuße von 600 DM verurteilt, was das Oberlandesgericht Braunschweig im Beschwerdeverfahren bestätigte.

… zur eingeschränkten Erlaubnis durch das BVerfG
und im neuen RDG, …

Hiergegen wandte sich Kramer mit einer Verfassungsbeschwerde und bekam Recht. Das BVerfG bemängelte in seinem Beschluss vom 29. Juli 2004 (1 BvR 737/00, NJW 2004, 2662), die Gerichte hätten im Streitfall bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des RBerG nicht in Erwägung gezogen, ob der Begriff der „Geschäftsmäßigkeit“ unter Berücksichtigung der durch das RBerG geschützten Interessen und des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG von Verfassungs wegen im konkreten Fall eine Auslegung erfordere, die die unentgeltliche Rechtsbesorgung durch einen berufserfahrenen Juristen nicht erfasse. Diese enge Auslegung der „Geschäftsmäßigkeit“ galt in der Folgezeit als „lex Kramer“ bei der Anwendung des RBerG. Im Jahr 2008 wurde das RBerG durch das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) ersetzt. Dessen § 6 erlaubt nunmehr ausdrücklich unentgeltliche Rechtsdienstleistungen, allerdings – bei Erbringung außerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen – nur, wenn die Rechtsdienst- leistung durch einen Volljuristen oder unter dessen Anleitung erfolgt. Aufgrund dieser neuen Regelung können seither auch Studierende (ggf. im Rahmen eines Vereins) unter Anleitung eines Volljuristen unentgeltliche Rechtsdienstleistungen erbringen.
Bereits seit 2010 gibt es deshalb an der Leibniz Universität Hannover die Legal Clinic, in der Studierende anderen Studierende etwa bei miet- oder arbeitsrechtlichen Fragen Hilfestellung leisten, seit 2015 existiert außerdem eine sehr engagierte Refugee Law Clinic, in der Studierende ratsuchenden Geflüchteten rechtlich zur Seite stehen. An anderen Universitäten bestehen studentische Law Clinics für Start-Ups, für Menschenrechte und sogar für Strafrecht.

… aber nicht im Steuerberatungsgesetz!

Eine Tax Law Clinic, also eine unentgeltliche studentische Rechtsberatung im Steuerrecht gibt es bisher aber noch nicht. Das will der VFS Hannover ändern. Die Idee hierzu entstand direkt nach der Gründung des Vereins im Jahr 2015, denn Fragen rund um das Steuerrecht gibt es unter den Studierenden viele und so besteht auch ein großer Beratungsbedarf. Etwa: Wann bin ich verpflichtet, eine Einkommen- steuererklärung abzugeben? Wie funktioniert eine Steuererklärung? Kann ich Erstattung von Steuern erreichen, die von meinem Lohn als studentischer Mitarbeiter einbehalten wurden? Kann ich die Aufwendungen für mein Studium von der Steuer absetzen? etc. Die Umsetz- ung der Pläne war jedoch nicht ohne Weiteres möglich. Denn im Steuerrecht gibt es, wie so oft, auch berufsrechtliche Besonderheiten. Hier findet neben dem RDG das Steuerberatungsgesetz (StBerG) Anwendung, nach dessen § 2 die Hilfeleistung in Steuersachen geschäftsmäßig nur von Personen und Vereinigungen ausgeübt werden darf, die hierzu befugt sind. Befugt sind insbesondere Steuerberater und Rechts- anwälte und entsprechende Gesellschaften, nicht aber Studierende oder ein studentischer Verein, selbst wenn eine Anleitung durch Steuer- berater oder Rechtsanwälte erfolgt. Dementsprechend haben das Niedersächsische Finanzministerium und die Steuerberaterkammer Niedersachen die Einrichtung einer Tax Law Clinic auf Anfrage des VFS Hannover als unzulässig erachtet.

Bis jetzt…!

Es fällt allerdings auf, dass die genannte Formulierung in § 2 StBerG im Wesentlichen dem Wortlaut des früheren § 1 RBerG entspricht, dessen enges Verständnis das BVerfG im Hinblick auf die unentgeltliche Rechtsberatung durch berufserfahrene Juristen als verfassungs- widrig angesehen hat. Anders als das RBerG wurde das ebenfalls aus dem Jahr 1935 stammende StBerG aber nicht geändert. Der VFS Hannover ist der Auffassung, dass die Ausführungen des BVerfG zum RBerG in gleicher Weise für das StBerG gelten und möchte daher gegen das dortige Verbot einer unentgeltlichen Steuerrechtsberatung vorgehen. Zusammen mit dem „Papst des RDG“ Dr. Christian
Deckenbrock von der Universität zu Köln und Georg Dietlein vom Bund Studentischer Rechtsberater hat der Verein daher einen Schriftsatz an das für ihn zuständige Finanzamt Hannover-Nord erstellt, in dem er ankündigt, ab dem Wintersemester 2018/19 an der Leibniz Universität Hannover eine Tax Law Clinic errichten zu wollen. Sollte dies – was zu erwarten ist – untersagt werden, geht es vor das Niedersächsische Finanzgericht…

Mehr am 25. Juni…!

Am 25. Juni 2018 stellen wir Euch ab 18 Uhr bei einer „kick off“-Veranstaltung unsere Pläne für eine Tax Law Clinic und unsere Über- legungen für ihre Umsetzung vor. Mit dabei ist u.a. der mittlerweile 88-jährige Dr. Helmut Kramer, der darüber berichtet, wie er zum Geburtshelfer für die Law Clinics wurde. Lasst Euch das nicht entgehen! Ihr seid ganz herzlich eingeladen, dabei zu sein.

Ablauf des Abends:

Begrüßung und Einführung
(RiFG Dr. Thomas Keß, Hannover)

„Der lange Weg zur altruistischen Rechtsberatung“
(RiOLG a.D. Dr. Helmut Kramer, Wolfenbüttel)

„Die Entwicklung der studentischen Law Clinics in Deutschland“
(stud.iur. Jan-Gero Alexander Hannemann & RRef Georg Dietlein, Vorstandsmitglieder des Bundes
Studentischer Rechtsberater, Göttingen/Köln)

„Die Legal Clinic Hannover“
(stud. iur. Lisa Kleinekemper, Hannover)

„Die Refugee Law Clinic Hannover“
(RRef Mirko Widdascheck, Hannover)

„Die Pläne für eine Tax Law Clinic an der Leibniz Universität Hannover“
(RRef Charlotte Merkel, Hannover)

„Die rechtliche Durchsetzung der Tax Law Clinic in Hannover“
(Akad. Rat. Dr. Christian Deckenbrock, Universität zu Köln)
Anschließend findet ein kleiner Empfang mit Snacks und Getränken statt.

Hier findet Ihr das Plakat der Veranstaltung.

Der oben stehende Text ist zuerst als Artikel in der Hanover Law Review (www.hanoverlawreview.de) erschienen, eine PDF-Fassung mit dem Ablaufplan findet Ihr hier.

Hier findet Ihr den Schriftsatz.