Abendsymposium „Steuergestaltung und Moral“ am 17. Januar 2023

Veranstaltungsbericht von Julian Simon und Alexandra Spaeth,
Institut für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Leibniz Universität Hannover

Foto: Christiane Neupert

Mit einem hochkarätig besetzten Abendsymposium fand das interdisziplinäre Seminar für Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler  zum Thema „Steuergestaltung und Moral“, geleitet von Prof. Dr. Kay Blaufus und RiFG Dr. Thomas Keß, einen gelungenen Abschluss. Der Präsident der Leibniz Universität Hannover, Prof. Dr. Volker Epping, lobte in seinem Grußwort im Leibnizhaus die fakultätsübergreifende Arbeit der Studierenden und Verantwortlichen und die Arbeit des VFS Hannover, der diesen ausgebuchten Abend organisierte. Und auch StB Dr. Carsten Lange, Vorstand der Kapp Stiftung, die diesen Abend großzügig unterstützte, zeigte sich von der Veranstaltung und den eingeladenen Gästen begeistert und lobte das Zusammenbringen von Wissenschaft und Praxis. In seinem Grußwort teilte er seine persönlichen Erfahrungen, dass sich der moralische Kompass sowohl im Bereich der Mandanten als auch in der Öffentlichkeit neu orientiere.

Diesen Eindruck bestätigte auch der erste Keynote-Speaker der Veranstaltung, der Stadtdechant Solingens, Pfarrer Michael Mohr, der als Dipl.-Finanzwirt und Dipl.-Theologe einen besonderen Blick auf das Zusammenspiel von Steuergestaltung und Moral ermöglichte und seine persönlichen theologischen Gedanken zur Thematik mit dem Publikum teilte. Mit seinem Leitsatz “Das tut man nicht” veranschaulichte er, dass Moral nicht nur das gesetzte Recht umfasse, sondern darüber hinaus gehe und Grenzen habe, die nicht klar ausformuliert seien. „Das tut man nicht “ gehe weiter als „Das ist verboten“ und werde von verschiedenen Personengruppen unterschiedlich interpretiert.

Als Einschub fügte er das christliche Menschenbild an, nach dem jeder Mensch ein Abbild Gottes („imago dei“) sei. Er stellte in Frage, ob in der aktuellen Gesellschaft auch jeder Mensch dies in seinen Mitmenschen sehe oder ob die Menschen immer egozentrischer würden. Gerade im Bereich der Steuergestaltung sei es gut, nicht nur die Minimierung der eigenen Steuerlast zu betrachten, sondern auch die Schwächeren im Blick zu haben.

Anschließend warf er die Frage auf, was Jesus Christus zu dem Thema „Steuern“ gesagt habe. In der Bibel, so erläuterte er weiter, werde in Matthäus 22, 15-22 gefordert, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers sei. Steuergestaltung müsse beides im Blick haben, die Sichtweise des Steuerpflichtigen, aber auch die des Staates, damit dieser seine Aufgaben erfüllen könne.

Auch falle ihm auf, dass „Das tut man nicht“ mehr und mehr von „Das tut man“ abgelöst werde. Konkretes Recht trete hinter willkürlicher Moral zurück, es reiche nicht mehr nur rechtskonform zu sein, sondern es entwickele sich im steuerlichen Bereich schon fast eine Art Wettbewerb, ein möglichst perfekter Steuerzahler zu sein. „Gib dem Kaiser, was dem Kaiser gehört“ sei dann zu wenig.

Hier kam er zu der Frage nach dem Verhältnis von Steuern und Moral zurück und äußerte, dass es am besten sei, wenn es dieser Frage nicht bedürfe, da alles rechtlich geregelt sei. Er griff obiges Zitat auf und äußerte, dass dann klar sei, dass man dem Kaiser gebe, was dem Kaiser zustehe, bezeichnete dies aber als eine Utopie. Er appellierte abschließend, zum Verhältnis von Steuergestaltung und Moral, dem Staat zu geben, was der Staat benötige, um die Schwächeren zu stärken.

Eine andere Sicht auf die Thematik wurde durch den zweiten Keynote-Speaker, den früheren Bundesverfassungsrichter und ehemaligen Präsidenten des Bundesfinanzhofs Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff gegeben. Er stellte in seiner Rede fest, dass Steuermoral im Laufe der Geschichte zunächst wenig Thema von Debatten gewesen sei, jedoch in den letzten Jahren aufgrund von Veröffentlichungen wie den Paradise Papers und den Panama Papers in den Fokus gerückt sei. Den Begriff der Steuermoral bezog er auf die normativen Werte und Einstellungen gegenüber der Steuereinhaltung und der Steuerhinterziehung. Auch Prof. Mellinghoff erläuterte, dass sich die Wahrnehmung der Steuerhinterziehung im Laufe der Zeit verändert habe. Wurde sie früher noch als “Kavaliersdelikt” angesehen, werde sie nun wesentlich strenger verfolgt und geahndet. Weiter sagte er, dass die Sichtweise der Steuermoral vom aktuellen gesellschaftlichen Mindset beeinflusst werde und daher das Pendel in die andere Richtung ausschlagen könne und sich diejenigen, die auf legalem Wege die Steuern minimieren, moralisch rechtfertigen müssten. Dabei warb er für eine differenzierte Betrachtung von Steuergestaltungen, bei der dringend zwischen Steuerhinterziehung, Missbrauch, Scheingeschäften und legalen Gestaltungen unterschieden werden müsse. Als Beispiel für Steuerhinterziehungen nannte er die illegalen Cum/Ex-Geschäfte, die die Gesellschaft geschädigt hätten und nicht akzeptabel seien. Davon grenzte er den Missbrauch ab, der zwar technisch nicht illegal sei, jedoch vom Staat nicht anerkannt werde und verwies in diesem Zusammenhang auf den § 42 AO, durch den der Staat eingreifen könne.

Für die Steuergestaltungen klassifizierte Prof. Mellinghoff in seiner Rede verschiedene Kategorien. Dabei nannte er zunächst reguläre Steuergestaltungen, wie die Politik der “blühenden Landschaften”, die in den östlichen Bundesländern nach der Wiedervereinigung einen Steuerabzug von 50 % auf Bauinvestitionen in den ersten fünf Jahren ermöglichte, die Gemeinde Norderfriedrichskoog, die einen niedrigen oder gar keinen Gewerbesteuersatz hatte, was viele Unternehmen anlockte, und die 10-Jahres-Regel für die Erbschaftssteuer. Dabei erklärte er auch die negativen Folgen dieser Steuergestaltungen. Zusätzlich verwies er auch auf die Internationalität der Steuergestaltung bei den oftmals verschiedenen Regelungen der Staaten ausgenutzt würden sowie auf Grenzfälle der Vergangenheit, wie die sogenannten Goldfinger-Fälle oder die Double Dip-Modelle. Ob man diese Gestaltungen nun als problematisch oder eben nicht problematisch einstufe, hänge seiner Meinung nach auch von der persönlichen Sichtweise ab. Er beschrieb in diesem Zusammenhang, dass Managern auferlegt werde, den Gewinn nach Steuern zu optimieren, aber dies nicht mehr die einzige relevante Kennzahl sei. So würden bespielweise, durch die öffentliche Debatte, auch Nachhaltigkeitskriterien oder Tax Compliance in den Fokus rücken. Abschließend argumentierte er, dass Steuermoral kein geeignetes Mittel zur Vermeidung von Steuergestaltung sei, da aus dieser keine klaren Regeln hervorgingen und das Gesetz den einzigen Maßstab liefere und nahm den Gesetzgeber mit in die Verantwortung, indem er ihm aufgrund des langsamen Handelns eine Mitschuld bei Methoden wie den Cum/Ex-Geschäften zusprach.

Bevor die Diskussionsrunde startete, bedankten sich die Moderatoren Prof. Dr. Kay Blaufus und RiFG Dr. Thomas Keß für die Grußworte, die finanzielle Unterstützung der Kapp Stiftung sowie für die spannenden Keynotes. Neben den schon aufgegriffenen Darstellungen zum Thema hielt die Diskussion noch weitere interessante Aspekte aus den unterschiedlichen Blickwinkeln bereit. Im Folgenden werden einige davon aufgegriffen.

Beispielsweise hob MDg Ernst Hüdepohl (Leiter Steuerabteilung, Niedersächsisches Finanzministerium) bezogen auf die Beziehung zwischen Gesetz und Moral hervor, dass aus Sicht eines Finanzbeamten eher nicht das Gefühl dominiere, dass man seine eigene Moralvorstellung im Wege einer Remonstration gegen das Gesetz umsetzen wolle, sondern die Wahrnehmung, dass man gerne weiter gehen würde, es rechtlich zu viele Spielräume gäbe und oft gewünscht werde, dass das Gesetz enger gefasst sei. An anderer Stelle äußerte er, dass zwischen dem, was gesellschaftlich als adäquat angesehen werde und dem, was gesetzlich niedergeschrieben sei, eine möglichst geringe Diskrepanz vorherrschen solle. Gleichzeitig verwies er hier auf das verbundene Problem zunehmender Komplexität des Gesetzes.

Prof. Dr. Simon Kempny (Universität Bielefeld) äußerte, dass Steuern stärker mit Moral verknüpft würden und das tatsächliche Recht nachstehe. Es dürfe nicht passieren, dass sich das Gesetz anders entwickele als die öffentliche Wahrnehmung.

StB Dr. Pia Dorfmueller (Partnerin Dentons) hob hervor, dass Reputationsrisiken in der Praxis angekommen seien. In den 90ern und 2000er Jahren habe man beispielsweise basierend auf Scoring-Modellen Klienten noch zu einem Markteintritt in Niedrigsteuerländern geraten, heute sehe das Ganze schon anders aus. Auch warf sie auf, dass es in der Praxis nicht mehr unbedingt darum gehe, Steuerschlupflöcher zu nutzen, sondern vielmehr darum, Steuern nicht doppelt zu zahlen und verwies beispielhaft auf umfangreiche Dokumentationserfordernisse.

Prof. Dr. h.c. Rudolf Mellinghoff (RiBVerfG a.D., PräsBFH a.D.) äußerte neben vielen bereits in der Keynote angesprochenen Aspekten, dass Steuergestaltungen in der EU nicht nur zu kritisieren seien und warf unter anderem die These auf, dass Steuerarbitrage in einigen Ländern die Demokratie sichere.

Aus einer Publikumsfrage der Anwesenden zur Einschätzung einer Gestaltung eines gesetzlich legalen doppelten Betriebsausgabenabzugs ging hervor: „Legal gleich legitim“ ist nicht mehr up to date. Ungefähr die Hälfte der Anwesenden sah eine solche Gestaltung als moralisch verwerflich an. Die erhebliche Diskrepanz zwischen der juristischen und der moralischen Bewertung einer Steuergestaltung spiegelte sich auch in einer Befragung wider, die Prof. Blaufus und Dr. Keß zum Thema „Steuergestaltung und Moral“ durchgeführt hatten, und deren Ergebnisse im Rahmen der Diskussion präsentiert wurden. Im Rahmen der Befragung wurden 1.200 Personen aus der allgemeinen Bevölkerung sowie knapp 600 Steuerexperten aus Finanzverwaltung und Steuerberatung befragt.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Preisverleihung. RiFG Dr. Thomas Keß und Prof. Dr. Kay Blaufus zeichneten Jacques Blum und Lorenz Tontsch für die beste juristische Arbeit („Besteht eine Pflicht zur Steuergestaltung bei Unternehmen?“) sowie Leon Reimund und Thomas Gödde für die beste wirtschaftswissenschaftliche Arbeit („Die Steuermoral in Deutschland im Wandel der Zeit – Eine Analyse der Daten des World Values Survey 1981-2018“) des interdisziplinären Seminars jeweils mit einem Preisgeld von 500 € aus.

Im Anschluss war für das leibliche Wohl gesorgt und es konnten die Poster, die im Rahmen des interdisziplinären Seminars erstellt worden waren, betrachtet werden.