Der Einfluss des Europarechts auf die Umsatzsteuer

Auf Einladung des Vereins zur Förderung der Steuerrechtswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover (VFS Hannover) und der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft erschienen am 20.6.2016 rund 160 steuerrechtlich Interessierte zum steuerrechtlichen Symposium in Hannover.

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In dem Eröffnungsvortrag „Die Harmonisierung der Umsatzsteuer in Europa“ stellte RiFG Dr. Jörg Grune die umsatzsteuerliche Entwicklung in Deutschland und Europa dar. Das nationale Umsatzsteuerrecht habe sich von einer Brutto-Umsatzsteuer ohne Vorsteuerabzug zu einer Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug entwickelt. Denn das alte Brutto-Umsatzsteuer-System habe zu Wettbewerbsverzerrungen geführt und den Missbrauch begünstigt.

Durch das Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz vom 25.8.1999 sei das nationale an das europäische Umsatzsteuerrecht angepasst worden. Ziel sei die Beseitigung der Steuergrenzen gewesen. Ein einheitlicher Steuersatz innerhalb des Binnenmarktes sei aber auch in der heutigen Zeit nicht in Sicht.

Die Harmonisierung werde durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie herbeigeführt. Sie schaffe gleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU und vermeide Wettbewerbsverfälschungen durch unterschiedliche Regelungen. Dabei stehe die Art und Weise der Umsetzung der Harmonisierung im Ermessen der Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang wies Dr. Grune auf den Anwendungsvorrang des EU-Rechts gegenüber dem nationalen Recht hin. Dieser spiele jedoch erst eine Rolle, wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht, nicht richtig oder nicht vollständig umgesetzt habe. In derartigen Fällen wirke das EU-Recht unmittelbar und der Unternehmer könne sich gegenüber einer für ihn nachteiligen Bestimmung des nationalen Rechts auf dieses berufen.

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Im Anschluss referierte Prof. Dr. Joachim Englisch (Universität Münster) zu dem Thema „Internationale Entwicklungstendenzen bei der Umsatzsteuer – Der EU-Aktionsplan und die Überlegungen der OECD.“.

Die zentralen Anliegen der Europäischen Kommission seien die Betrugsbekämpfung, die weitergehende Implementierung des Bestimmungslandprinzips und die Vereinfachung des Steuererhebungsverfahrens. Zu diesem Zwecke solle u.a. im jeweiligen Mitgliedstaat eine zentrale Anlaufstelle für Unternehmer geschaffen werden.

Die Kommission fokussiere zudem den Übergang zum definitiven Mehrwertsteuersystem, wodurch eine lückenlose Besteuerung des grenzüberschreitenden Warenhandels erreicht werden solle. Dafür solle die Besteuerung im Mitgliedstaat, in dem der Transport ende, erfolgen, eine durchgängige Steuererhebung mit Vorsteuerabzug durchgeführt werden und ein Systemwechsel vom MOSS (Mini-One-Stop-Shop) zum BOSS (Big-One-Stop-Shop) vollzogen werden. Bis dahin solle zunächst die Besteuerung von Risikotransaktionen ins Auge gefasst werden.

Prof. Dr. Englisch hielt die Umsetzung des definitiven Mehrwertsteuerregimes nicht für wahrscheinlich, da innerhalb der Mitgliedstaaten derzeit Uneinigkeit bestehe. Seines Erachtens sei realistischer, dass u.a. das Konzept der einzigen Anlaufstelle ausgeweitet und eine grenzüberschreitende Kleinunternehmerregelung mit einheitlichem Schwellenwert geschaffen werde.

Seitens der OECD seien konkrete Empfehlungen zu den Ortbestimmungsregeln bei den B2B- und B2C-Umsätzen sowie zum Besteuerungsverfahren zu erwarten. Dabei habe die OECD nicht nur die EU, sondern die globale Besteuerung im Blick. Zudem solle zukünftig der internationale Informationsaustausch verbessert werden und die Mehrwertsteuer insbesondere bei B2C-Dienstleistungen vom nicht im Inland ansässigen Unternehmer erhoben werden.

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Bei der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Dr. Grune, RiBFH Dr. Hans-Hermann Heidner, Prof. Dr. Englisch, PD Dr. Bettina Spilker (Universität Münster), RA/StB Gregor Dzieyk (KPMG AG) und MD Dr. Jörg Saßmann (Nds. Finanzministerium) über die Entwicklungen bei der umsatzsteuerlichen Organschaft, den § 2b UStG und aufgrund eines anhängigen Verfahrens beim EuGH (C-518/14) über die Frage, ob eine rückwirkende Rechnungskorrektur möglich sei.

Bezüglich der Organschaft sprachen sich Dr. Heidner und RA/StB Dzieyk wegen des erheblichen Haftungsrisikos des Organträgers für die Schaffung klarer Voraussetzungen aus.

Hinsichtlich des § 2b UStG wies RA/StB Dzieyk auf das fehlende Verständnis der privaten Unternehmer hin, da ihnen im Vergleich zur öffentlichen Hand seitens der Politik nicht so eine lange Übergangszeit eingeräumt werde. Auch Prof. Dr. Englisch hielt solch eine Übergangszeit für unüblich; zwei Jahre wären ausreichend gewesen. Ferner habe er Zweifel, dass diese Übergangsregelung EU-konform sei.

Im Hinblick auf die Frage der rückwirkenden Rechnungsberichtigung wurde insbesondere auf den Schlussantrag des Generalanwalts vom 17.2.2016 aufmerksam gemacht, in dem er für die ex tunc-Berichtigung plädiert.

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        Autorin: Dipl. Finanzwirtin Anna Sutorius

Das Plakat des Symposiums

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Interessierte können sich unter den folgenden Downloadlinks weiteres Informationsmaterial herunterladen:

Tagungsbericht des NWB Verlags

Folien zum Vortrag von Herrn Dr. Jörg Grune

Folien zum Vortrag von Herrn Prof. Dr. Joachim Englisch