Der EuGH und das Steuerrecht – Symposium am 13. Dezember 2018

Am 13.12.2018 fand das diesjährige Abendsymposium des VFS Hannover zu dem Thema „Der EuGH und das Steuerrecht“ in der juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover statt. Anwesend waren etwa 250 Teilnehmer aus Studierendenschaft, Verwaltung, Finanzgerichtsbarkeit, Beratung und Wissenschaft.


v.li. nach re.: Prof. Dr. Steffen Lampert, Prof. Dr. Juliane Kokott, Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff, Natalie Gossement, Dr. Thomas Eisgruber, Prof. Dr. Jens Schönfeld, Dr. Thomas Keß

Die Funktion des EuGH in der europäischen Integration

Das Symposium wurde mit dem Vortrag von Prof. Dr. Claas Friedrich Germelmann (Leibniz Universität Hannover) zu dem Thema „Die Funktion des EuGH in der europäischen Integration“ eröffnet. Dieser beleuchtete insbesondere die vom EuGH ausgehenden Impulse auf Rechtsstaatlichkeit, Individualrechte, Wirtschaft sowie auf das Verhältnis der Verfassungsordnungen der Mitgliedsstaaten, indem Vertragsverletzungen geahndet und Beeinträchtigungen von Indi­vidualrechten festgestellt werden oder sich mit der Streit­beilegung und -sicherung, beispielsweise zum Brexit, beschäftigt wird. Hierbei könne der EuGH nicht auf alle Bereiche gleichermaßen einwirken und im Ergebnis auch nur eine Hilfestellung gewährleistet werden.

Die Bedeutung des EuGH in der europäischen Integration

Sodann nahm die Generalanwältin am EuGH (Luxemburg), Prof. Dr. Juliane Kokott, zu der Bedeutung des EuGH in der europäischen Integration Stellung. Dabei beleuchtete sie eine der wesentlichen und anspruchsvollen Aufgaben des EuGH. Die Schaffung eines angemessenen Ausgleichs zwischen Steuersouveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten und den europäischen Grundfreiheiten. Dieser notwendige Ausgleich führe dazu, dass nicht jede steuerrechtliche Diskriminierung zu einer Verletzung von Grundfreiheiten führe. Ziel sei es, eine ausgewogene Aufteilung von Steuerbefugnissen zu erreichen und das Steuersubstrat der Mitgliedsstaaten „zu schützen“. Hieraus hätten sich ungeschriebene Rechtfertigungsgründe entwickelt, namentlich das Missbrauchsverbot oder den Schutz des Steueraufkommens vor „Abwanderung“ (welches sich u.a. in den Regeln zur Wegzugsbesteuerung wiederfindet). Im weiteren Verlauf folgte ein Überblick über die Rechtsprechung zu dem finalen Verlustbegriff, wobei Kokott insbesondere die Uneinheitlichkeit aus den Urteilen Marks & Spencer“ (EuGH v. 13.12.2005 – C- 446/03, FR 2006, 177), „Timac Agro“ (EuGH v. 17.12.2015 – C-388/14, FR 2016, 126 m. Anm. Schlücke und Mitschke) sowie „Bevola Trock“ (EuGH v. 12.6.2018 – C-650/16, FR 2018, 643 m. Anm. Schlücke) herausstellte. Während der EuGH in seiner Entscheidung „Bevola Trock“ am finalen Betriebsstättenverlust festhält, sprach sich Kokott insbesondere im Hinblick auf die notwendige Symmetrie der Besteuerung kritisch aus. Sodann widmete sie sich dem wider­streitendem Verhältnis des Beihilfeverbots und der Steuersou­veränität und diskutierte die Voraussetzungen unzulässiger Steuer­subventionen. Dabei erlange die Selektivitätsprüfung besondere Bedeutung: Nach Ansicht von Kokott bedürfe diese Prüfung, trotz jüngster Urteile wie „Heitkamp BauHolding“ (EuGH v. 28.6.2018 – C-203/16 P), aus Gründen der Rechtssicherheit und speziell mit Blick auf progressive Steuersätze (etwa „Anged“, EuGH v. 26.4.2018 – C-233/16) einer noch eindeutigeren Kontur, stehe schließlich mit ihr eine mittelbare Diskriminierung im Raum.

Der EuGH als Steuergericht

RA Prof. Dr. Schönfeld (Flick Gocke Schaumburg, Bonn) beleuchtete den „EuGH als Steuergericht“ und betrachtete dabei Aufbau und Aufgaben des EuGH sowie mögliche Rechtswege zum EuGH und diskutierte sodann die Erforderlichkeit eines europäischen Finnanz­ge­richts. In diesem Zusammenhang stellte er Vor- und Nachteile wie einheitlichere Entscheidungen sowie deren Qualitätsförderung dem Risiko, dass es systembedingt dazu kommen kann, dass nur be­stimmte Mitgliedsstaaten rechtliche Entscheidungen treffen sowie die Rechtsprechung zu sehr von Persönlichkeiten abhänge, gegenüber und positionierte sich im Ergebnis zugunsten eines europäischen Steuerfachgerichtes.

Podiumsdiskussion

Im Anschluss an die Vorträge diskutierten die Referenten mit MR Dr. Thomas Eisgruber (Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, München), Nathalie Gossement (Rechtsberaterin der EU-Kom­mission, Brüssel) und Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff (Präsident des Bundesfinanzhofs, München) unter Leitung von Prof. Dr. Steffen Lampert (Universität Osnabrück) die von den Vortragenden vorgestellten Thesen. Besonderes Gewicht erlangte dabei die Diskussion um den Finalitätsbegriff von Betriebsstättenverlusten. Eisgruber sprach insoweit die Untätigkeit des Gesetzgebers an, betonte zugleich jedoch dessen Dilemma: man stünde vor nicht absehbaren Prob­lemen, wenn jeder Mitgliedsstaat nun beginnen würde, den Ver­lustbegriff eigenständig zu definieren. Im Zusammenhang damit problematisierte Mellinghoff einerseits das Erfordernis einer richtungsweisenden Entscheidung des EuGH – sind doch in der Sache Grundfreiheiten betroffen –, andererseits die damit korrelierenden Steuerbefugnisse der Mitgliedsstaaten. Erörtert wurde außerdem die Frage, ob durch die sekundärrechtliche Regelung der Zinsschranke in der ATAD die Anwendung einer nach nationalem Recht möglicher­weise verfassungswidrigen Regelung durch den Anwendungsvorrang des Unionsrechts geboten sein könnte. Eisgruber betonte dabei, dass die Zinsschranke aus seiner Sicht verfassungsmäßig sei, während Mellinghoff vor allem den EuGH in der Pflicht sah. Daran, dass der EuGH Richtlinien am Maßstab insb. der Grundrechtecharta zukünftig einer strengen Kontrolle unterziehen wird, bestanden unter den Diskussionsteilnehmern aber erhebliche Zweifel. Im weiteren Verlauf erlangte die Rolle der europäischen Kommission bei der Rechtsprechung des EuGH sowie die Notwendigkeit eines europäischen Finanzgerichts Bedeutung.