Die Selbstanzeige im Spannungsfeld zwischen Strafrecht und Steuerrecht

Überlegungen im Vorfeld der Verschärfung eines heiß diskutierten Instruments | Symposium vom 8.12.2014

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Grußwort durch RiFG Dr. Thomas Keß

Die Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft und der Präsident des Niedersächsischen Finanzgerichts hatten zu der Veranstaltung am 8. Dezember 2014 auf den Conticampus geladen und viele Gäste erschienen, darunter zahlreiche Studierende der Leibniz Universität Hannover (LUH), Finanzrichter, Vertreter der steuerberatenden Berufe und der Finanzverwaltung, sowie andere Interessierte.

RiFG Dr. Thomas Keß, Lehrbeauftragter für Steuerrecht der LUH, wies in seiner Begrüßungsrede auf die Bedeutung des Steuerrechts für die juristische Praxis hin. Aufgrund des von den Studierenden bekundeten Interesses am Steuerrecht hätten sich Vertreter aus der Steuerrechtspraxis zusammengefunden, um sich um die Ausweitung des steuerrechtlichen Lehrangebots an der juristischen Fakultät der Leibniz Universität einzusetzen. Ein entsprechender Verein zur Förderung dieses Zieles sei in Planung. Um auf das Vorhaben aufmerksam zu machen, würden diese und weitere steuerrechtliche Vortragsveranstaltungen in der LUH durchgeführt.

Diskussionsbeitrag-Rueping

Einführung durch RA Prof. Dr. Hinrich Rüping

Der erste Referent, der emeritierte Strafrechtsprofessor der LUH Prof. Dr. Hinrich Rüping wandte sind an die anwesenden Studentinnen und Studenten und machte ihnen anhand einiger mürrisch-ironisch vorgetragenen Beispiele klar, dass sie durchaus bereits über Kenntnisse im Steuerstrafrecht verfügten. Er wies auf die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Fälle prominenter Steuersünder hin und ging der Frage nach, welchem „Typ Steuerhinterzieher“ diese Personen zuzuordnen seien. Handelt es sich eher um kaltblütige Verächter des Rechts (wie der Gesetzgeber zu unterstellen scheint) oder doch eher um bemitleidenswerte Opfer des komplizierten Steuerrechts? Dementsprechend könnte der Sinn der Selbstanzeige entweder in der Integration von Straftätern in die Gesellschaft oder aber in der Privilegierung Besserverdienender liegen. Am Ende seines Vortrags wies Prof. Dr. Rüping die Studierenden auf seine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Doppelfunktion der Steuerfahndung und der Strafbemessung hin.

Diskussionsbeitrag-Radtke

Vortrag von RiBGH Prof. Dr. Radtke

RiBGH Prof. Dr. Henning Radtke, Mitglied des u.a. für Steuerstrafrecht zuständigen 1. Strafsenats des BGH und ehemaliger Professor für Strafrecht der LUH, stellte die Frage nach dem Sinn und Zweck der Selbstanzeige in den Vordergrund seines Vortrages. Er begrüßte ausdrücklich die Entscheidung der Bundesregierung, § 371 Abgabenordnung (AO) im Kern beizubehalten. Es sei ein stimmiges Konzept, für Steuerhinterziehung ein materielles Rücktrittsrecht bereit zu stellen, denn auch bei anderen Gefährdungsdelikten gebe es die Rechtsinstitute der tätigen Reue und des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch. Dagegen bezeichnete er die Absenkung der Grenzen des § 371 Abs. 1 Nr. 3 AO von bisher 50.000 € auf 25.000 € als dogmatisch nicht begründbar. Für bedenklich hält Prof. Dr. Radtke die geplante Änderung des § 398a AO, wonach das Verfahren gegen Zahlung von Zuschlägen eingestellt wird. Durch die drastische Erhöhung dieser Zuschläge bekämen diese den Charakter einer Strafe. Außerdem könnte nach seiner Meinung die Wiederaufnahmemöglichkeit nach Absatz 3 der Vorschrift gegen das Doppelbestrafungsverbot verstoßen.

Vortrag von RA Dr. Heiko Ahlbrecht

Dr. Heiko Ahlbrecht, Lehrbeauftragter für Steuerstrafrecht an der LUH, richtete als Rechtsanwalt den Blick auf die Steuerhinterzieher, denen die „Selbstanzeige schwer gemacht“ werde. Er prognostizierte, dass sich der Erfüllungsaufwand für eine ordnungsgemäße Selbstanzeige erheblich erhöhen werde. So würden Aufwand und Kosten für die Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten steigen, wenn die Pflicht zur Nacherklärung von bisher fünf auf zehn Jahre erhöht werden sollte. Dr. Ahlbrecht kritisierte, dass durch die Verschärfung der Ausschlussgründe (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 AO) eine Selbstanzeige im Vorfeld einer Betriebsprüfung unmöglich gemacht werde. Außerdem bemängelte er, dass der Gesetzgeber nicht einmal die Gelegenheit der Gesetzesänderung genutzt habe, um den unbestimmten Rechtsbegriff der „Tatentdeckung“ gesetzlich zu definieren. Sein vernichtendes Fazit lautete, dass die Selbstanzeige ihren Namen nicht mehr verdiene, sondern zum formalisierten Ablasshandel verkommen sei.

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion unter der Leitung von LMR Holger Kordt

In der anschließenden Diskussion äußerte auch der Leiter des u.a. für die Steuerfahndung zuständigen Referats 33 im Niedersächsischen Finanzministerium LMR Holger Kordt Bedenken wegen der Höhe der Zuschläge des § 398a AO. Er wies aber darauf hin, dass es zur Generalprävention nötig sei, Anreize zur Steuerehrlichkeit zu schaffen. RA Dr. Michael Messner kritisierte abschließend, dass es einem Normalbürger nicht mehr möglich sein wird, eine wirksame Selbstanzeige abzugeben. Selbst Rechtsanwälte und Steuerberater scheuten mittlerweile das Risiko einer unwirksamen Selbstanzeige.

In ihren Schlussworten betonen sämtliche Referenten die Bedeutung des Steuerrechts für die juristische Ausbildung und die hervorragenden Berufsmöglichkeiten für Steuerrechtler. Prof. Dr. Radtke betonte, dass auch für die Arbeit im Steuerstrafrecht Kenntnisse im materiellen Steuerrecht wichtig seien. Herr Dr. Ahlbrecht lud die Studierenden dazu ein, im Sommersemester die entsprechenden Lehrangebote in Anspruch zu nehmen.

Prof. Rüping beendete die gelungene Veranstaltung, indem er sich bei allen Beteiligten bedankte und zu einem Sektempfang (gesponsert vom Steuerberaterverband Niedersachsen/Sachsen-Anhalt e.V) einlud, bei dem sich die Teilnehmer und Zuhörer anschließend noch intensiv austauschten.

stud.iur. Dipl.-Fw. Charlotte Merkel | Helga Merkel, Dozentin Steuerakademie Niedersachsen